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Interview von Beate Heins

Ein Gespräch von Beate Heins mit dem Fotografen Gotthart A. Eichhorn ÜBEr sein jetzt vorgelegtes Buch „Reise in mein FRÜHes Ich“

Herr Eichhorn, der Vielzahl jüngst erschienener Memoiren haben Sie mit ihrer jetzt vorliegenden autobiografischen Erzählung „Reise in mein frühes Ich“ ein Buch hinzugefügt, das sich für mich mit einer großartigen Spannung und in bewundernswerter Detailschärfe lesen lässt ,und dabei einen geschichtlichen Zeitraum und seine Hintergründe beleuchtet, der von anderen Biografien bislang nur wenig beachtet wurde. Mit einer Vitalität des Erzählens ziehen Sie den Leser in eine Jugend der Fünfziger Jahre hinein, die offensichtlich keine Idylle war und völlig anders erlebt wurde als die Jugend heutiger Jahre.
Das „traumatische“ eigener Erlebnisse generierte bei Ihnen offenbar eine kreative Kraft zur Eroberung einer anderen Welt und – als Fotograf- der Welterweiterung. Warum haben Sie erst jetzt die Ereignisse ihrer frühen Jahre zu einer autobiografischen Erzählung gemacht?

Ich glaube, dass es dafÜR mehrere GRÜNDe gibt: diese zum Teil dramatischen Ereignisse meiner Kindheit und Pubertät waren Über Jahrzehnte verscHÜttet, verdrängt. Mehr zufälliges, aber drängendes Nachfragen meiner Tochter ÜBER diese, meine frÜHEN Jahre ließen mich ahnen, wie wichtig mir die Aufarbeitung dieser Zeit sein musste. Mit dem Beginn des Schreibens begann wirklich ein inneres Brausen, das mich faszinierte. Ich habe dabei viel und Wichtiges ÜBER mich erfahren. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie ist doch eine eher psychoanalytisch ausgerichtete Arbeit. Das Ziel könnte eine erfÜllende Eintracht mit der eigenen Geschichte sein, vielleicht werden aber auch neue Aufgaben gestellt. Dem einen oder anderen Leser könnte es bei der LektÜRE ähnlich ergehen. Wahrscheinlich hätte ich zu Lebzeiten meiner Eltern dieses Buch nicht schreiben können. Mit zunehmender Liberalität hat meine Mutter im Alter sehr unter ihren fRÜHEREN Erziehungs- methoden gelitten. Das noch einmal lesen zu mÜSSEN, wäre FÜR sie sehr schwer zu verkraften gewesen.

Ihre kreative Bildsprache machte Sie zu einem gefragten und bekannten Fotografen, sehen sie einen Zusammenhang zwischen ihrem Kameraauge und ihrer hier vorliegenden, sehr bildreichen Sprache?

Wenn man von der beidseitig nötigen Fantasie absieht, sehe ich FÜR mich weniger Zusammenhang, wurde aber schon häufiger danach befragt. FÜR Außenstehende scheint dies irgendwie naheliegend zu sein. Bei mir sind bildreiche Sprache und erzählende Bilder zwei unabhängige Wege meiner Ausdrucksmöglichkeiten. In der Erinnerung fRÜHER Ereignisse entstanden
allerdings virtuelle atmosphärische Bilder, zum Teil mit anhaftenden GerÜChen, die sich in mein bildnerisches Gedächtnis fest eingebrannt haben und die ich in meiner Erzählung auch zu beschreiben versuche.

Historiker versuchten schon oft den objektiven Blick in die Geschichtsschrei- bung der Adenauerzeit. Sie scheinen hier mit sehr subjektiven Eindrücken auch persönliche Ereignisse dieser Zeit offen legen zu wollen.

Das ist richtig: ich wollte keinen Geschichtsalmanach schreiben, sondern suchte in meiner frÜHen Biografie nach Anfängen und AufbRÜChen, die mein späteres Leben deutlich beeinflussten, es war auch die Suche nach einer mentalen Geografie. Ich beschreibe also aus sehr subjektiver Perspektive Wahrnehmungen von gesellschaftspolitischen Beschränkungen, aus denen ich, gegen alle Widerstände, sehr fRÜH auszubrechen versuchte.

Ihre „Reise“ ist auch die Erzählung einer schwierigen Identitätsfindung zwischen sehr widersprüchlichen Fronten: empfanden sie das in ihrer Kindheit so, wie Sie es heute sehen?

Was ich als bedrohliche Front empfand, war in erster Linie eine repressive Schulzeit und die anfänglich durchgreifende Strenge meines Elternhauses. Es waren aber auch lange Zeit unsere bescheidenen ökonomischen Verhältnisse, unter denen ich, angesichts vieler neureicher Freunde und Altersgenossen litt und hier lange kein Selbstbewusstsein entwickeln konnte.
Andererseits war ich stolz auf das gesellschaftliche Leben in unserem Elternhaus, in dem klassische Hausmusik gepflegt wurde, in dem viele interessante Menschen zu Gast waren, mein Vater regelmäßig seine Studenten einlud und bei uns auch Dichterlesungen stattfanden. Ich gelangte mÜHsam und erst in späteren, fast erwachsenen Jahren zu einer Identität, als ich mich von vielen „Zwangsjacken“ befreit hatte. Heute glaube ich, dass mir dabei meine Eltern durch ihre spätere Toleranz geholfen haben.

Sie beleuchten in ihrer autobiografischen Erzählung die aufbrechenden fünfziger Jahre des deutschen Wirtschaftswunders aus ihrer Perspektive als Kind und als Heranwachsender. Sind andere, geschichtsschreibende politische Ereignisse dieser Zeit, spurlos an Ihnen vorbei gegangen?

Nein, warum diese Frage? Es werden doch mehrfach politische Ereignisse und gesellschaftspolitische Zustände angesprochen, diejenigen, die mich als Kind und als Jugendlichen besonders beeindruckt haben. Große geschichts- schreibende Ereignisse, die ich nicht erwähnt habe, waren der Korea-Krieg und z.B. die Arbeiteraufstände in Ost Berlin und Ungarn, FÜR die ich keinen Zusammenhang zu den Erlebnissen aus meiner damaligen Perspektive fand.
Aber natÜRLich existierten diese auch in meinem Bewusstsein.

Die „Aorta“ ihrer Biografie bilden die sehr offenen Schilderungen über ihr Elternhaus und über ihren damaligen Freundeskreis: wie haben zum Beispiel ihre Schwestern auf diese Lektüre reagiert?

Meine Schwestern und einige Freunde, die ich in meiner Erzählung vorkom- men lasse, haben das Typoscript kapitelweise zu lesen bekommen. Die Reaktionen waren fÜR mich interessant, aber sehr unterschiedlich geartet. An die von mir geschilderten Details konnten sich viele nicht mehr erinnern. Einige Freunde sahen sich sehr präzise beschrieben, auch im Umbruch der damaligen gesellschaftlichen Ordnung.
Meine Schwestern waren erscHÜTtert Über die erzieherische Drangsal, unter der ich in jungen Jahren zu leiden hatte, die sie auf Grund ihrer Studienzeit damals nicht miterlebt und als Mädchen auch nie erfahren hatten. Meine Schwestern fanden meine Schilderung erotischer Erlebnisse zu ausschweifend und vermissten dafÜR mehr WÜRDigungen des Vaters, als er in meinen Texten erfährt. FÜR mich hat das nichts mit mangelnder Achtung zu tun, sondern mehr mit der Tatsache, dass mein Vater sich in meiner Wahrnehmung um meine kindlichen und pubertären Probleme wenig GEKÜMMert hat. Ich vermisste ihn wirklich, als ich ihn am meisten gebraucht hatte. Außerdem wollte ich keine Familiensaga schreiben, sondern eine biografische Erzählung meiner damaligen Erlebnisse als Aufarbeitung aus meiner heutigen Perspektive, da mussten Familienereignisse, die ich persönlich nicht wahrgenommen habe, zURÜCktreten.

In ihren Texten schildern Sie öfter selbsterlebte Aspekte einer „schwarzen Pädagogik“. Wie erklären Sie das, in ihrem christlichen Elternhaus?

Die repressive Pädagogik war keine Erfindung der Nachkriegszeit. Bis zu meinem zehnten Lebensjahr galt in der Schule und auch in meinem Elternhaus PrÜGEL als Abhärtung fÜR das spätere Leben, dem besonders Knaben ausgesetzt waren. Es waren massive DemÜTigungen, die theologisch verbrämt, dem Ziel galten, die SÜndhaftigkeit auszutreiben. Auch meine strafende Mutter hatte sich bis in diese Jahre nicht mit Psychologie und Pädagogik auseinandergesetzt. Manches an Repression geschah aus Gedankenlosigkeit und galt dem Gehorsamstraining und der EinscHÜChte- rung. Deutlich länger als im Elternhaus wurden diese Prinzipien in der Schule verfolgt. Meine Mutter hatte alsbald Abbitte geleistet und damit Schäden in meiner Kinderseele vermieden.

Ihre Eltern, beschreiben Sie, verdienten in den fünfziger Jahren ein Zubrot durch Vermieten eigener Räume an ein amerikanisch-jüdisches Ehepaar, die wegen eines Wiedergutmachungsprozesses in ihrer Heimatstadt waren. Hat dies in ihrer Familie zu Diskussionen über die Nazivergangenheit geführt?

Als das Ehepaar Coopes als Untermieter in unsere beengte Wohnung kam, war ich neun Jahre alt und interessierte mich hier nicht FÜR eventuelle politische HintergRÜNDe. Aber ich bezweifle auch, dass solche zu dieser Untervermietung FÜHRten. Vielmehr waren ökonomische GrÜNde, eine siebenköpfige Familie zu ernähren, vordergRÜNDiger. In meiner Erinnerung wurde in unserer Familie aber der Prozessfortgang und das Urteil mit Spannung verfolgt. Offene und heftige Diskussionen ÜBER die Nazivergangen-heit entstanden erst einige Jahre später, als die ersten zwei Schwiegersöhne ins Haus kamen, die der Sozialdemokratie sehr nahe standen. Damals sPÜRTe ich zum ersten Mal auch unterschiedliche politische Auffassungen bei meinen Eltern. Die Vermietung an das JÜDische Ehepaar, zu dem es später keinen Kontakt mehr gab, war nie mehr Gesprächsstoff in unserer Familie.

Die Beschreibung ihrer Schulzeit klingt über weite Strecken ihrer Erzählung bedrückend und zutiefst grausam. Entspringt das allein ihren damaligen persönlichen Erlebnissen oder haben Sie als Klassenkollektiv unter einer autoritären Unterdrückung gelitten?

Die Beschreibungen der Probleme meiner Schulzeit basieren auf meinen ganz eigenen Erlebnissen und Wahrnehmungen. Viele meiner Freunde und Klassenkameraden verhielten sich damals disziplinierter und sehr angepasst an das System der repressiven Erziehung, dem ich auf Grund verschiedener Ereignisse meinen Kampf angesagt hatte. Dass auch andere MitscHÜler unter dem abgängigen pädagogischen System litten, kam erst in späteren Jahren durch postgymnasiale Diskussionen zum Vorschein und konnte mich in meinem schulischen Verhalten damit nachträglich auch rehabilitieren.

Ihre Widerstände gegen die braune Vergangenheit vieler ihrer Lehrer formulieren sich erstaunlich früh, woher kam das oder war es Intuition?

In meiner Grundschulzeit konnte ich mir aus geschichtlicher Unkenntnis keine Vorstellungen Über die Nazi-Vergangenheit meiner Lehrer machen. Diese RÜCkschlÜSSE entstanden erst später, als ich bei einigen und vor allem bei den ÜBERWiegend älteren Lehrkräften pädagogische Prinzipien erfuhr, die in der von ihnen geforderten Anpassungsbereitschaft FÜR mich Ähnlichkeiten mit den Prinzipien der braunen Vergangenheit aufwiesen. Meist waren es auch die gleichen Lehrer, die meinem, unserem hartnäckigen geschichtlichen Nach- fragen nach dieser Zeit ausgewichen sind.

Haben Sie mit ihren Eltern Diskussionen über ihre Schulerlebnisse gehabt oder hatten Jugendliche zu schweigen?

Wenn ich als Kind meine eigenen Verhaltensfehler erkennen konnte, vermied ich aus Angst vor Strafen eine häusliche Diskussion. In Problemsituationen, die sich meist auf ungerechte Beurteilungen bezogen, konnte ich mir der Hilfe meiner Mutter immer sicher sein, mich ihr anvertrauen. Erst in der gymnasialen Mittel- und Oberstufe war ich in der Lage, pädagogische Entscheidungen so zu beurteilen, dass ich sowohl mit Lehrern wie auch mit meinen Eltern inhalt- lich diskutieren konnte. Sprechverbote kannte ich zu Hause nicht!

Sie vergleichen in einer kürzeren Szene die von ihnen geschilderte schulische Renitenz mit Szenen aus dem Film „die Saat der Gewalt“. Hatten sie damals in ihrer Klasse das Gefühl von „amerikanischen Verhältnissen“?

Das hier geschilderte Ereignis war ein selten brutaler Einzelfall, der die ganze Klassengemeinschaft betroffen machte und dabei eher unsere Solidarität mit dem Lehrer entwickelte. Solidarität mit Lehrern war uns sonst eher fremd. Aber einen organisierten und kollektiven Widerstand gegen herrschende Repression kannten wir auch nicht. Jeder musste mit seinen Problemen allein zurechtkommen. Manchmal wurde das durch unsere Lehrer massiv ausgenutzt, indem berechtigte Kritik Einzelner als Störung des Unterrichts gebrandmarkt wurde. Eine fruchtbare Kooperation Lehrer-ScHÜler, wie wir das aus der gegenwärtigen Pädagogik kennen, war in meiner Schulzeit unbe- kannt.

Fühlen Sie heute Bitterkeit über ihr Aufwachsen in einer noch sehr autoritär geprägten Epoche?

Nein, ganz sicher nicht. RÜCkblickend könnte ich mir meine Schulzeit nicht als eine antiautoritäre Erziehung vorstellen. Die Pädagogik der „FÜNFZiger“ mit ihren, manchmal grausam demÜTigenden Maßnahmen, hat auch mich gezwungen, mich gegen das Autoritäre zu wehren. Ich möchte heute nicht mehr alle Widerstände rechtfertigen, aber teilweise förderten sie doch das Nachdenken Über die eigenen Handlungsweisen und emanzipierten mich, machten mich widerstandsfähig.

Ihre vielfachen Begegnungen mit Frauen sind radikal offen und ausführlich geschildert. Verfolgen Sie damit eine Absicht?

Die von mir geschilderten Begegnungen mit Frauen scheinen, unbeab- sichtigt, auffällig zu sein, denn viele der bisherigen Leser haben ähnlich nachgefragt, was mich sehr wunderte. Ich kenne kaum einen neueren Roman oder Erzählungen, die nicht in viel drastischeren Worten sinnliche Erotik beschreiben, als ich es hier wage.
Aber es stimmt: ich hatte ein sehr fRÜH entwickeltes Interesse am anderen Ge- schlecht. Ob das rein physiologisch genuine Vorgänge waren, die meine Sehnsucht nach Zärtlichkeit und weiblicher Schönheit bestimmten, ein männ- liches GeltungsbedÜRFnis oder Ausbruchsversuche aus bedRÜCkenden Moralvorstellungen, kann vielleicht der Leser beurteilen. FÜR mich waren es essenzielle sinnliche Erfahrungen, die mich wesentlich geprägt und gestärkt haben in einer frÜHEN und schwierigen Zeit meiner häuslichen und gymnasialen Entwicklung. Eine sehr FRÜH begonnene Liebe ist ein zentrales Thema meiner Erzählung. ZURÜCkdenkend konnte ich diesen erotischen Erlebnissen einen emanzipatorischen Einfluss auf mein Leben nicht ab- sprechen. Wenn ÜBErhaupt Absicht: um diese damals fÜR mich fundamentalen Erfahrungen vermitteln zu können, bedarf es der Kraft einer sehr offen erzählten Geschichte, um auch glaubhaft zu bleiben.

Wie sehen Sie ihre Rollendefinition, ihre Identität als jugendlicher „Ich- erzähler“ aus ihrer heutigen Perspektive?

Diese Frage habe ich eigentlich vorher schon beantwortet. Manchmal habe ich Mitleid mit diesem „fRÜHEN Ich“, manchmal könnte ich ärgerlich werden ÜBER so viel Dämlichkeit meines damaligen Provo- Verhaltens, was mir immer wieder Probleme bereitete. Zu einer sPÜRBaren Identität fand ich erst als Erwachsener.

Die zum Teil erschütternd geschilderte Geschichte ihres Heranwachsens nimmt eine radikale Wendung mit dem Beginn ihrer beruflichen Ausbildung. War das auch eine innere Kehrtwendung?

Als ich die Schule verließ, war ich fast erwachsen und reifer geworden. Ich hatte plötzlich das GefÜHl einer vorher nicht gekannten Souveränität, die mich neue Herausforderungen gut bestehen ließ, mir Mut machte und auch zu schnellem Erfolg fÜHRte, den ich vorher nicht gekannt hatte. Aus dieser neuen Perspektive verlor ich das Tragische vergangener Jahre schnell aus den Augen.

Mit dem Erzählen ihrer Berufsausbildung nehmen Sie den Leser mit auf eine kurze Zeitreise in die Mediengeschichte der damaligen Jahre, insbesondere in die der Fotografie der frühen Sechziger, die gestalterisch deutlich auch durch die Zeitschrift TWEN beeinflusst wurde. Wieweit hatte das auch Einfluss auf ihre Arbeiten?

Dieser zufällige Zeitpunkt meiner Ausbildung war sicher der ganz große GlÜCksfall fÜR mich. Ein den gesellschaftlichen Umbruch vorbereitender Journalismus scHÜRTe die Vorstelllung von selbständiger und unkonventioneller Lebensanschauung. Auch ich versuchte mich in Selbstverwirklichung, obwohl das zunächst nur Vokabeln waren. TWEN mit seiner klaren visuellen Sprache und beeindruckenden Bildstrecken lebte uns das vor. Jetzt war ich ein „Twen“ und las begierig TWEN. Diese Zeitschrift hatte ungeahnten Einfluss auf mein Denken und Handeln, hier ging es auch um neue LebensentwÜRFe und politische Fragen. Aber der wesentliche Einfluss war der einer ganz neuen Fotografie, die fÜR mich lange Jahre beispielhaft blieb.

Ihre autobiografische „Reise“ erzählt vor sehr unterschiedlichen Hintergründen der fünfziger und frühen sechziger Jahre Ihre Kindheit, die Pubertät und Ihr Erwachsenwerden. Wenn man auf Ihre Frankfurter Jahre zwischen 1967 bis vielleicht 1978 schaut, in denen Sie neben dem Beginn ihrer Karriere als erfolgreicher Werbefotograf auch an politischen Demonstrationen des SDS, dem Häuserkampf im Frankfurter Westend und an Projekten für antiautoritäre Kinder-Erziehung beteiligt haben, könnte man eigentlich eine spannende Fortsetzung Ihrer Erinnerungen erwarten. Hat das einen Grund, dass Sie ihre autobiografische Erzählung mit dem Auszug aus ihrem Elternhaus beenden?

Mit dem ( späten ) Auszug aus meinem Elternhaus war eine interessante und wichtige, Über weite Phasen auch schwierige Entwicklungsepoche bei mir abgeschlossen. Was ich beschrieben habe, ist mein emanzipatorischer Weg aus dem moralinen Mief der „FÜNFZiger“.

Die spannenden Jahre ab Frankfurt sehe ich fÜR mich völlig anders und sie stellen eine lange und autonome Geschichte dar, wenn auch alle Grundlagen späterer Erfolge ganz sicher in „meinem fRÜHEN Ich“ gelegt wurden. Ob daraus eine biografische Fortsetzung werden könnte, weiß ich noch nicht. Ich denke, dass vorliegende autobiografische Reise-Erzählung ins
„fRÜHE Ich“ an der richtigen Stelle ihr Ende findet.

Ihre Erzählung erscheint zweigleisig: die Erinnerung wird von einem Meta- Erzähler kommentiert. Ist dies ein bewusster Zugriff, eine Art „Legende“ der autobiografischen Erzählung?

Ich kann das eigentlich nicht nachvollziehen, obwohl ich diese Frage als Kritik schon einmal zu hören bekam. Ich glaube, auch autobiografische Erzählungen beziehen sich immer auf eine historische Realität, andererseits können sie dem Anspruch auf Objektivität niemals GENÜGen, da die Wahrnehmung des Autors dieser nur subjektiv gegENÜBERSteht.

Nachdem Sie durch ihren Beruf einen (wesentlichen?) Teil unserer Welt kennen lernen konnten und fast vierzig Jahre ihrer fotografischen Selbständigkeit in Frankfurt verbrachten, wo sehen sie heute ihre „Heimat“?

Der Begriff Heimat ist schwer zu definieren. Eindeutig und heftig ÜBERkamen mich beim Schreiben heimatliche GefÜHle. Wenn ich aber heute in diese Stadt reise, in der ich aufgewachsen bin, FÜHle ich mich dort als Fremder.
Mehr noch empfinde ich die Fremdheit in meiner Geburtsstadt. Wenn ich aber in andere Erdteile reise und ich werde dort nach meiner Heimat gefragt, so ist dieser Begriff mehr an mein Heimatland als an eine Stadt gebunden. Zuhause fÜHle ich mich dort, wo ich heute wohne.

Ihre berufliche Arbeit ist die Welt der Fotografie, die Sie über ihr erstes und frühes journalistisches Schreiben fanden. Ist das vorliegende Buch ein Weg zurück zu ihren Anfängen?

Nein: es sind zwei völlig unabhängige, aber spannende Wege, wobei ich das Schreiben auch als Fotograf nie aus meinen Augen verlor. Beide Wege fÜHREN fÜR mich nach vorn und sind niemals RÜCkwärts gerichtet. Nie wÜRde ich das Eine fÜR das Andere aufgeben wollen.

In einer Zeit der Kurzmitteilung wie e-mail, tweats und SMS und dem Medium Fernsehen wenden Sie sich einer episch breit angelegten Erzählform zu.
Glauben sie an das überleben des Printmediums Buch? Und wen haben sie als potentiellen Leser im Auge?

Am allmählichen Erlahmen und Erlöschen von „Briefwechsel“ zugunsten von e-mail und anderen Kurzmitteilungen sPÜRt man, kann ich mir vorstellen, dass sich Lesegewohnheiten demnächst verändern werden, dass das geräuschvolle Umblättern beschriebener Seiten anders klingen, anders funktionieren wird. Eine literarische Sprache, der Zeit entsprechend, wird aber bleiben. Dass Printmedien wie das gedruckte Buch vom Markt völlig verschwinden werden, kann ich mir heute nicht vorstellen. Mein Schreiben begann ich nicht mit Vorstellungen von Veröffentlichungen. Anfangs galt es nur der Selbstaufklärung einer Zeit, die ich aus mancherlei GrÜNDen in dunkle Kammern verbannt hatte, die mich aber unbewusst bedRÜCkten. Entstanden ist ein Zeitdokument, in dem sich vielleicht auch andere wieder finden können.

Wie empfinden Sie das laissez-faire in der heutigen Erziehung und den Umgang mit Jugendlichen mit den modernen Medien wie dem Chat und den Computerspielen im Vergleich mit ihrer eigenen Jugend?

Ich weiß nicht, ob heute laissez-faire das durchgängige Erziehungsprinzip ist. Ich kenne Eltern, die von ihren Kindern durchaus etwas fordern und ich kenne Jugendliche, die erstaunlichen Ehrgeiz entwickeln, um sich später in einer Ellbogen-Gesellschaft durchsetzen zu können. Beides halte ich FÜR ÜBERlebenswichtig, ohne dass junge Menschen dabei gedemÜtigt werden mÜSSen. Das Freizeitverhalten ist heute gänzlich anders als in meiner Kindheit, ich empfinde es kommunikativer, manchmal auch fantasieloser.

Ich danke Ihnen für das Gespräch und wünsche ihnen viel Erfolg mit ihrem Buch.

Beate Heins lebt in Stockholm-Lidingö und war lange Jahre Verlagsscout FÜR den Renate Gerhardt-Verlag in Berlin

Gotthart A. Eichhorn arbeitet als selbständiger Werbefotograf in Frankfurt und lebt seit einigen Jahren in Geiselbach im Naturpark bayerischer Spessart.

Die autobiografische Erzählung
„Reise in mein FRÜHES Ich“ von Gotthart A. Eichhorn erscheint am 1.11.12 im AAVAA Verlag Berlin
ISBN Nr. 978-3-8459-0412-2

www.eichhornphotography.de gotthart-eichhorn@t-online.de